Die Freiheit der Kunst unter dem Druck der „Staatsräson“

23.01.2024

Mit diesem Artikel wird eine Diskussionsrunde eröffnet in Vorbereitung der 3. Kulturpolitischen Konferenz ver.di Berlin im September 2024 zum Thema „Kunstfreiheit“


Die Freiheit der Kunst unter dem Druck der „Staatsräson“

 
Gotthard Krupp, Fachgruppe Bildende Kunst

Im September 2022 fand die 2. Berliner Kulturpolitische Konferenz der Gewerkschaft ver.di statt. Das war der Auftakt für eine Initiative, die in der Gründung einer verbändeübergreifenden Berliner Kulturkonferenz als Verein mündete. Berliner Kunst und Kultur sprechen jetzt mit einer Stimme und damit sind die Bedingungen gegeben für ein Kulturfördergesetz, welches an die Stelle einer wohltätigen fürsorgenden Kunstförderung eine sachlich begründete, eine gesetzlich definierte Kunst- und Künstler*Innenfinanzierung als Rechtsanspruch setzt. Das ist ein Erfolg, auf den es aufzubauen gilt.

In dem Entwurf zu einer Resolution hieß es: „Wir müssen festhalten, dass die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Kunst und des Wortes weiterhin bedroht ist. Hinzu kommen die vielfältigen Formen von staatlich und gesellschaftlich ausgeübtem Druck und Einschränkungen der Meinungsfreiheit.“ Der zweite Satz wurde einvernehmlich gestrichen, weil die „vielfältigen Formen von staatlich und gesellschaftlichen Druck“ nicht diskutiert worden sind.

Auch wurde der Satz „Gleichzeitig lehnen wir eine Staatskunst oder der Staatsräson dienende Kunst ab“ gestrichen. Was ist Staatskunst oder der Staatsräson dienende Kunst? Eine Frage, die zu dem Zeitpunkt nicht diskutiert war und die sicher viele Kontroversen auslösen wird.

Die Konferenz konnte darüber nicht diskutieren.

Aber jetzt, mit der Initiative des Berliner Kultursenators Joe Chialo, allen Kunstschaffenden, die Mittel beantragen, ein Bekenntnis zu einer bestimmten Definition des Antisemitismus abzulegen, ist eine neue Stufe der staatlichen Einmischung in die Kunst erreicht. Jetzt kann man der Frage nicht mehr ausweichen, jetzt muss sie zumindest diskutiert werden, auch wenn diese Diskussion kontrovers sein wird.

Deshalb einige Überlegungen zur Frage des Verhältnisses von Freiheit der Kunst zur Staatskunst oder einer Staatsräson dienenden Kunst

Kunst als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge…

Das Verständnis von Kunst als Teil der Öffentlichen Daseinsvorsorge geht auf die Erfahrung zurück, dass der freie Kunst-Markt, der zum Teil höchstspekulativ ist, als Zensor wirkt. Der Staat muss Bedingungen schaffen, damit sich die Freiheit der Kunst entwickeln kann. Dazu heißt es in der Abschlusserklärung der oben genannten Konferenz:
„Unsere lebendige Erfahrung ist: Freiheit der Kunst und des Wortes setzt voraus, dass die Künstler*innen und die Kulturschaffenden in sozial gesicherten Verhältnissen arbeiten können, unabhängig und selbstbestimmt. Wenn die materielle Basis fehlt, verkommt das Bekenntnis zur Freiheit des Wortes und der Kunst zu einer reinen Proklamation.

Wir halten fest: Die durch die Verfassung garantierte Freiheit des Wortes und der Kunst setzt voraus, dass sie als Teil der Öffentlichen Daseinsvorsorge anerkannt wird.

Wir wissen: Wer die Freiheit der Kunst und des Wortes praktizieren will, muss dazu auch über die entsprechenden Arbeits- und Einkommensbedingungen verfügen.

Wir erklären: In der Praxis heißt das, dass der Staat die Pflicht hat, die Grundlagen für die Freiheit des Wortes und der Kunst durch die Gewährleistung der materiellen Basis zu schaffen.“

Hier muss das Kulturfördergesetz ansetzen. Es geht darum, Regeln für eine gesetzlich definierte Kunst- und Künstler*Innenfinanzierung als Rechtsanspruch zu schaffen, die die Freiheit der Kunst respektiert.
Soweit alles klar.

…ist nicht der Freibrief zum Eingriff in die Kunstfreiheit

Wenn der Kultursenator Joe Chialo in seiner Pressemitteilung schreibt: „Kunst ist frei! Aber nicht regellos“, so meint er etwas anderes. Der Staat greift in die inhaltliche Definition von Kunst ein. Kunst muss sich, so der Kultursenator, politisch definieren. Er will eine rechtsverbindliche inhaltliche Voraussetzung für Kulturförderungen durch das Land Berlin schaffen. Per Verordnung soll garantiert werden, dass „mit öffentlichen Geldern keine rassistischen, antisemitischen, queer feindlichen oder anderweitig ausgrenzenden Ausdrucksweisen gefördert werden.“

Eine Gesinnungsprüfung wird gefordert, die Kunstschaffenden sollen ein besonderes politisches Bekenntnis ablegen. (Zur Information: Nach GG gilt schließlich für alle Bürger*innen, wer gegen Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz, das „Diskriminierungsverbot“ verstößt, macht sich strafbar. „Diskriminierung aus rassistischen Gründen, wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung ist verboten“).

Die Definition „rassistisch, antisemitisch, queer feindlich oder anderweitig ausgrenzender Ausdrucksweisen“ wird der Willkür staatlicher Institutionen (Kultusministern) übertragen – denn wird tatsächlich eine Straftat vermutet, gehört der Fall vor ein Gericht. (antisemitische Hetze wird als Volksverhetzung erfasst § 130 StGB. Wobei vor einer z.Z. gängigen Praxis der Strafverschärfung – wie der Ausweitung von § 130 StGB - gewarnt werden muss).

Warum diese staatliche Sondergerichtsbarkeit?

Kultursenator Joe Chialo definiert, was Antisemitismus ist, und lässt für die Künstler*innen keine Differenzierungen mehr zu. Das ist ein direkter Eingriff einer Kulturverwaltung in die Kunstfreiheit. Das ist „staatlicher Druck“ konkret und nur ein Zwischenschritt zu einer „der Staatskunst oder der Staatsräson dienenden Kunst“.

Es ist ein Dammbruch.

Gotthard Krupp
i.A. ver.di AG Kunst und Kultur Berlin-Brandenburg

Nachtrag: Am 22. Januar 2024 wurde im Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhaus die Antidiskriminierungsklausel „Auf Grund von juristischen Bedenken, dass die Klausel in dieser Form nicht rechtssicher sei…“ von Kultursenator Joe Chialo wieder zurückgenommen. Weiter erklärte der Kultursenator „Das Ziel einer diskriminierungsfreien Kultur bleibt davon unberührt.“ Es gehe ihm darum zu definieren, was „diskriminierungsfrei“ ist. Deshalb bleiben die im Artikel aufgeworfenen grundsätzlichen Fragen höchst aktuell.